Editorial

Hortensia Völckers, Kirsten Haß – Vorstand der Kulturstiftung des Bundes

20 Jahre Kulturstiftung des Bundes: ein besonderer Jahrestag oder schon ein „Jubiläum“? In jedem Fall ein Anlass innezuhalten und sich an die Anfänge im Jahr 2002 zu erinnern: Die Gründung der Kulturstiftung des Bundes verdankte sich der Initiative des damaligen Kulturstaatsministers Julian Nida-Rümelin, der vor der Aufgabe stand, der Zuständigkeit des Bundes für die Kultur unter Wahrung der Kulturhoheit der Länder Profil zu verleihen. Es war ja eigentlich alles vorhanden, eine außerordentlich reiche Kulturlandschaft, zu der die damals noch jungen neuen Bundesländer einen bemerkenswerten, aber im wiedervereinigten Deutschland noch zu wenig beachteten Teil beisteuerten. Mit der Entscheidung für den Standort der Kulturstiftung des Bundes in Halle an der Saale wurde ein Zeichen gesetzt.

Am Anfang war die Satzung (öffnet neues Fenster). Wie es aber gelingen sollte, „innovative“ Projekte oder zukünftig gesellschaftlich relevante Themen im Voraus zu identifizieren, das mussten wir selbst herausfinden. Welche Themen oder Programme waren geeignet, sich auf überregionaler Ebene zu behaupten? Offenheit wurde uns zum Gebot der ersten Stunde, zur Maxime in den Anfangsjahren. Wir setzten auf das Wissen und die Erfahrungen von Künstlerinnen und Künstlern, auf die Potentiale von Kultureinrichtungen und freien Szenen und ließen uns von ihren Bedürfnissen, Wünschen und Utopien inspirieren. Auf diese Weise entstanden neue Kooperationen über Ländergrenzen hinweg, wurden gemeinschaftlich Ideen entwickelt, die die Kapazitäten Einzelner überstiegen. Kurzum: Wir entwarfen selbst unsere Förderphilosophie, die sich durch qualitativ und quantitativ spürbare Auswirkungen in der Kulturlandschaft legitimieren musste. Von Robert Musil stammt der schöne Gedanke, die Zeit sei ein Zug, der seine Schienen vor sich her rollt. Die zwanzigjährige Geschichte der Kulturstiftung des Bundes ähnelt einem solchen Zug.

Dabei dürfte uns die Verortung in einer eminent kulturträchtigen Stadt in einem ostdeutschen Bundesland sehr zugutegekommen sein. Die Entscheidung für Halle an der Saale als Sitz der Stiftung war und ist für uns ein Glücksfall. Wir waren damals darauf angewiesen, mit sehr vielen Menschen zumal mit unterschiedlichen Erfahrungen ins Gespräch zu kommen, uns kundig zu machen, zuzuhören, zu fragen statt mit Antworten und herkömmlichen Lösungen aufzuwarten. Das hat uns ermutigt und letztlich geprägt: Zu erfahren, was die verschiedenen Akteure in der Kultur bewegt, wofür sie einstehen und wofür sie Unterstützung brauchen, was sie ändern möchten, welche Hindernisse ihnen im Weg stehen, wie sie sich Weiterentwicklung und Zukunft vorstellen. Das Vertrauen, das uns die Kollegen und Kolleginnen in den Institutionen und die Künstlerinnen und Künstler geschenkt haben, war dabei von unschätzbarem Wert und hat uns – in doppelter Hinsicht – sehr bewegt. Im Laufe der zwanzig Jahre konnten wir ein Wissen über die deutsche Kulturlandschaft erwerben, das praktisch einzigartig ist, weil es nicht nur auf der Kenntnis von Institutionen und Szenen, von künstlerischen Produktionen und kulturpolitischen Strukturen beruht, sondern auf Tausenden von Gesprächen mit denen, die bundesweit und auch international frische Impulse in die Kultur einbringen wollen.

Wir hatten das Glück, dass die Politik, die verschiedenen Kulturstaatsministerinnen und Kulturstaatsminister, uns Zeit für umfassende Recherchen gaben, sie keine Limits setzten, wir (nicht immer von Erfolg gekrönte) Experimente wagen und künstlerische Risiken eingehen durften. Anders wäre es kaum möglich gewesen, mehrjährige Programme zusätzlich zu den antragsgebundenen Förderprojekten zu entwickeln und durchzuführen. Sie sind es, die Spuren in die Zukunft der Kulturlandschaft gelegt und aufgrund ihres Modellcharakters bei Themen wie Klima (öffnet neues Fenster), Diversität (externer Link, öffnet neues Fenster), Digitalisierung (externer Link, öffnet neues Fenster), internationalen Kooperationen und Strukturen (Tanzplan (öffnet neues Fenster), Doppelpass (öffnet neues Fenster), TRAFO (öffnet neues Fenster)) Wegmarken hinterlassen haben, die anderen Institutionen als Orientierung dienen konnten. Einige Programme mögen manchmal erst zeitverzögert ihre gesellschaftliche Wirksamkeit und (kultur)politische Anerkennung gefunden haben und erwiesen sich im Rückblick als Vorreiter für bestimmte Themen. Andere wiederum boten unerwartet schnelle und unkomplizierte Unterstützung bei der Umsetzung dringlicher Anliegen. Wenn im jetzigen Koalitionsvertrag der Kulturstiftung des Bundes als „Innovationstreiber“ Anerkennung gezollt wird, dann bestärkt das die Annahme, dass sich unsere Fördermaßnahmen als eine Art Stellwerk bewährt haben, das die „Weichen“ für Veränderung, für Erneuerung und Transformationen in der Kultur auf Zukunft stellt und die Signale aus den Kunstszenen angemessen in den (bundes)politischen Raum übermittelt.

Diese Ausgabe des Magazins zum zwanzigjährigen Bestehen tanzt ebenso aus der Reihe, wie es schon das Magazin zum zehnjährigen (öffnet neues Fenster)tat. Damals bestand es ausschließlich aus Gedichten von zeitgenössischen Lyrikern, diesmal ausschließlich aus Bildern von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern, die die Kulturstiftung des Bundes im Rahmen von Projekten gefördert hat, namentlich Nadja Buttendorf, Kerstin Brätsch, Tschabalala Self und Tobias Zielony.

Mit diesem Magazin wollen wir vor allem eines: Wir wollen allen DANKE sagen, die uns in den letzten zwanzig Jahren begleitet haben. Dem ist an Worten (und Texten) nichts hinzuzufügen. Deshalb haben wir auf den Rückseiten der Plakate eine beträchtliche Auswahl von Institutionen aufgeführt, die für die unzählig vielen Weggefährten aus zwanzig Jahren Förderung stehen, mit denen wir in ca. 4.000 Projekten und Programmen zusammengearbeitet haben. Dazu kommen internationale Partner, Kolleginnen und Kollegen, viele viele Jurymitglieder und die Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter aus der Politik und unseren Gremien. Dazu gehören die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stiftung, ein engagiertes Team, ohne dessen unermüdlichen Einsatz der Zug womöglich so manches Mal ins Stocken geraten wäre. Wir möchten ihnen allen danken und zu guter (!) Letzt Ihnen, den Leserinnen und Lesern des Magazins, für Ihr Interesse, Ihre Wissbegier, Ihre (kritischen) Anregungen seit Anbeginn der Stiftung.

Hortensia Völckers, Kirsten Haß
Vorstand der Kulturstiftung des Bundes

Der Vorstand

Die Künstlerische Direktorin Hortensia Völckers und die Verwaltungsdirektorin Kirsten Haß bilden gemeinsam den Vorstand der Kulturstiftung des Bundes.

Zur Plakatedition

Kerstin Brätsch

Die Rolle der Malerei unter dem Einfluss des Digitalen ist eines der zentralen Themen im Werk von Kerstin Brätsch. Die 1979 in Hamburg geborene und heute in New York und Berlin lebende Künstlerin stellt in oft großformatigen Arbeiten auf Papier, Polyesterfolie, Glas oder Stucco Marmo der vermeintlichen Materialität des Malerischen eine des Digitalen gegenüber. Um die physische, psychologische und soziale Körperlichkeit der Malerei zu erforschen, kollaboriert Brätsch regelmäßig mit Künstlerkollegen und Kunsthandwerkern.
Immer wieder abstrahiert und variiert sie das Motiv des Pinselstrichs: wie auch bei dem in diesem Heft gezeigten Motiv aus der Serie "Interchangeable Mylar (3 part) Glow Rod Tanning with …" (2015). Auf mehreren Lagen von Polyesterfolie schieben sich die malerischen Ebenen immer wieder neu übereinander und bieten zahlreiche Kombinationsmöglichkeiten. Damit scheint die Frage nach der Stabilität des Mediums selbst ins Bild zu treten.
Brätschs Werke wurden weltweit gezeigt, so etwa 2015 in einer Ausstellung zur Malerei der Gegenwart im Museum of Modern Art, New York, und 2017 eine erste Retrospektive im Museum Brandhorst, München. Von der Kulturstiftung des Bundes wurde sie in u. a. in den interdisziplinären Projekten "Thermostat (öffnet neues Fenster)" (2010/11) und "Alexander Kluge – Die Macht der Musik (öffnet neues Fenster)" (2020) gefördert und ist seit 2020 im Rahmen der Initiative Neue Auftraggeber (öffnet neues Fenster) in Mönchengladbachs Stadtteil Wickrath unterwegs.

 

Nadja Buttendorf

Die 1984 geborene Künstlerin Nadja Buttendorf spiegelt in ihrem Werk die Vielfalt der Internetkultur in Form von interaktiven Video-Projekten, Tutorial-Workshops und performativen Schmuck- Objekten: Sie hinterfragt gegenwärtige Normen und Codes von Geschlechterkonstruktionen und Wertschöpfungsmechanismen des menschlichen Körpers in unserer digitalen Gesellschaft. Nicht zuletzt in ihrer Nail Art Serie (seit 2015) und der hier ausschnittsweise gezeigten Arbeit "Soft Nails ~ ♥ [ASMR] Kleincomputer Robotron KC87 ♥" (2018) extrahiert sie kommunikative Momente der Teilhabe im Internet. Sie setzt sich mit der Rolle patriarchaler Machtverhältnisse in der digitalen Welt auseinander und lässt Frauen in einem neuen Narrativ als elementaren Teil der Technikgeschichte wieder sichtbar werden.
Nach einer Ausbildung zur Goldschmiedin und einem Studium der Bildenden Kunst an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle (Saale) wurde Buttendorfs Werk vielfach gezeigt, u. a. im Haus der Kulturen der Welt in Berlin, im Hartware MedienKunstVerein Dortmund, im MU Eindhoven und in der La Gaîté Lyrique Paris. Lecture Performances hat sie zudem u. a. auf der re:publica, auf dem Chaos Communication Congress oder in der nGbK Berlin gehalten. Von der Kulturstiftung wurde sie in "Computer Grrrls" (2018/19), "Link in Bio (öffnet neues Fenster)" (2019/20), "Gegenwarten (öffnet neues Fenster)" (2020) und "Diversify the Code! (öffnet neues Fenster)" (2021/22) gefördert.

 

Tobias Zielony

In seinen atmosphärisch dichten Fotografien und Videos setzt sich Tobias Zielony bereits seit seinem Studium immer wieder mit Wirkkraft und Inszenierungen von Jugendkulturen auseinander. Der 1973 in Wuppertal geborene und heute in Berlin lebende Künstler ist dafür schon von Marseille über Neapel bis zu den Industrieruinen Kaliforniens gereist, um die oft am Rande der Gesellschaft lebenden Portraitierten in der ihnen vertrauten Umgebung einzufangen. Gänzlich in natürliches Licht getaucht, baut sich in der Uneindeutigkeit zwischen Dokumentation und Fiktion dabei, wie etwa auch bei der hier gezeigten Fotografie "Nina and Fernando" (2020), oft eine fast schon unheimliche Nähe zum Betrachter auf. Abgebildet sind zwei Mitglieder der Community japanischstämmiger Brasilianer, deren Vorfahren aus soziopolitischen Gründen Anfang des 20. Jahrhunderts auf den Subkontinent immigriert waren.
Nach einem Studium der Fotografie in Wales und Leipzig sind Zielonys Fotografien und Filme weltweit gefragte Ausstellungsstücke. Seine bisher umfassendste Werkschau richtete im Jahr 2021 das Museum Folkwang in Essen aus. 2015 bespielte er gemeinsam mit vier weiteren Künstlern den Deutschen Pavillon auf der Kunstbiennale in Venedig. Von der Kulturstiftung des Bundes wurde Tobias Zielony zuletzt in der Chemnitzer Ausstellung "Gegenwarten (öffnet neues Fenster)" (2020) und im Bitterfelder Festivalprojekt "OSTEN (öffnet neues Fenster)" (2021/22) gefördert.

 

Tschabalala Self

Der Schwarze Körper – insbesondere der weibliche – ist Hauptschauplatz von Tschabalala Selfs Kunst. Die 1990 in New York City geborene und heute in Hudson (NY) lebende Künstlerin gibt diesen Körpern Raum und leuchtende Farbe, zeigt sie mal allein, mal im Liebesakt, in eigenwilligen, teils akrobatischen Posen. Die Energie, die von ihren Figuren ausgeht, setzt sich in der eklektischen Materialwahl fort: Typisch für Selfs Werk, so auch bei dem hier abgebildeten "Vanity" (2020), sind Collagen bestehend aus Ölfarbe, unterschiedlichen Textilien und auch Stücken früherer Arbeiten, die sie auf der Leinwand zu einer Art Quilt kombiniert. In Motiv und Technik scheint bei Tschabalala Self der Wille mitzuschwingen, Erwartungen zu unterwandern, sich Stereotypen und somit auch intersektioneller Diskriminierung zu widersetzen: Ihre starken, oft selbstbewusst wirkenden Figuren schaffen neue, eigene Narrative.
Nach einem Master of Fine Arts in Malerei und Druckkunst an der Yale School of Art und ihrer ersten Solo-Ausstellung in der Galerie Schur-Narula in Berlin (2015) wurden ihre Werke international gezeigt, u. a. im Tramway Glasgow (2017), in der Londoner Galerie Pilar Corrias (u. a. 2019) sowie in der Gruppenausstellung "Sweat" im Haus der Kunst in München (2021/22). Von der Kulturstiftung des Bundes wurde sie 2020 im Ausstellungsprojekt "Beyond the Black Atlantic (öffnet neues Fenster)" im Kunstverein Hannover gefördert.

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