Die antike griechische Philosophie kannte das Ideal der Unerschütterlichkeit: die Ataraxie. Ich fand den Gedanken immer ambivalent. Es ist ja schön, wenn man allein dank Geisteshaltung alles von sich fernhalten kann, was einem das Leben vermiest: überflüssige Informationen, nervige andere, Schmerzen, Ängste, Sorgen. Aber „unerschütterlich“ kann auch ganz einfach heißen, ein grober Klotz zu sein, und wer will das schon. Vor allem aber suggeriert die Vorstellung der Unerschütterlichkeit, man könne es mit sich allein aushalten; als wüsste man, was man ohne das, was einen zu stören scheint, mit seinem Leben anfinge. Das scheint mir zweifelhaft. Am Anfang war das Mit-Sein. Und dieses bleibt zeitlebens so nervtötend wie verheißungsvoll. Ständig ist man auf der Suche nach dem richtigen Wir, und damit meine ich nicht die duale Beziehung. Was man sich unter Wir vorstellt, hängt auch ab von den Technologien, die diese Beziehungen ermöglichen und den Medieninhalten, die uns die darin enthaltenen Optionen vorspielen. Die Motivation, sie zu nutzen, ist ein Fehlen, ein Mangel, der oft eine körperliche Referenz mit sich führt. Zum Beispiel das „Beamen“ als Utopie einer unmittelbaren Übertragung von Körper und Geist. Zum Glück funktioniert das immer noch nicht.
Was nicht verschlägt, dass es einem manchmal ganz anders vorkommt. Ataraxie gegenüber dem, was da täglich so auf mich einprasselt, fände ich schon nicht so schlecht. Allerdings: Im Prinzip wäre das ja machbar. Doch die Angst, etwas zu verpassen, ist stärker. Und die Sorge, — vielleicht, hoffentlich — gebraucht zu werden, aber nicht erreichbar zu sein und deshalb lieber einen Kanal mehr als weniger zu nutzen, um dem utopischen Wir eine Chance zu geben. Eigentlich bin ich den ganzen Tag nur damit beschäftigt.
Bloß, welches Wir? In meiner Arbeit halte ich es eher mit der Fernsten- als der Nächstenliebe. Das Wir begegnet mir als bereichernd dann, wenn es sich als abweichendes Verständnis von etwas Gemeinsamem äußert und sich ohne Alleinstellungsanspruch mögend dazu gesellt. Das Wir konstituiert sich so aus dem Verweis der einzelnen Glieder und Meinungen aufeinander, ohne vorgängige Hierarchie und ohne normative Transzendenz. Dies zu moderieren und in musealen Räumen in Erscheinung zu bringen, darin sehe ich meine Aufgabe als Kurator. Ausstellungen sind idealiter Orte, die die aktuell vorhandenen Möglichkeiten und Widersprüche des Wir stellvertretend für eine Gesellschaft erproben und zur Anschauung bringen: räumlich, zeitlich, ökonomisch, kausal. Deshalb kann ich mich aus dem laufenden Geschehen in der Welt da draußen nicht ausklinken. Man weiß nie im Voraus, woraus sich das Wir zusammensetzt.
Zweifellos aber reagiert es wie auch die Technik intensiver auf den Mangel als auf den Überschuss. Denn ein empfundener Mangel erinnert uns an die Angewiesenheit aufeinander. Wenn diese Mängel wegoptimierbar werden durch Maßnahmen, die mit dem Konzept des Technoself verbunden sind, geht womöglich jeder starke Grund für das Wir verloren. Einerseits. Andererseits kann es sein, dass auch der Mangel am Mangel seine Spuren hinterlässt und überhaupt erst die Möglichkeit eröffnet, nach anderen Formen des Wir zu suchen. Das ist per se keine Neuigkeit. „Verschwende dein Leben!“ war und ist eine Reaktion auf den Vorsorgestaat. „Verstümmle dich!“ kann eine Reaktion auf formvollendete Prothetik sein, offensiv Unsinn denken zu wollen eine Reaktion auf Künstliche Intelligenz. Dass Technologien dem Menschen das Denken abnehmen könnten, bedeutet eigentlich gar nichts, weil „das Denken“ keine erlernbare und reproduzierbare Bedeutung hat, sondern es nur aus dem entsteht, was sich dem bereits Denkbaren entzieht und widersetzt. Ironischerweise ist dies unter den Bedingungen des Technoself das Wir: Wiederkehr des Politischen aus unerwarteter Richtung.