Topf & Söhne

Von Hartmut Topf

Die Erfurter Firma Topf & Söhne ist zum Symbol für die Beteiligung der Industrie am Holocaust geworden. Hartmut Topf, dessen Urgroßvater Firmenbegründer war, erzählt, wie ihm nach und nach bewusst wurde, dass der Name der Familie für eine Firma steht, die Technik für den Genozid lieferte.

Einen Namen habe ich geerbt. Geboren in einer Laubenkolonie am Exerzierplatz, durch Kindheit und Schulzeit dann herangewachsen in Falkensee, einem aus zwei Dörfern erblühten havelländischen Vorort Berlins, hatte ich einen Namen geerbt, den ich mit kindlichem Stolz trug. Ich war ein Topf. Der Vorname dazu war damals in Mode; dass dessen letzter und des Familiennamens erster Konsonant aneinander stoßen, schien meine ansonsten musikalischen Eltern nicht zu stören. Beide, der junge Ingenieur Albert und die elf Jahre jüngere Kindergärtnerin Irmgard, stammten aus Erfurt. Und dort gab es eine Firma mit Weltruf, wie mir vor allem meine Mutter immer wieder sagte, eine Fabrik, die modernste Feuerungen baute und in aller Welt wunderschöne Schornsteine errichtete. Erblickte ich das typische Firmenzeichen an so einem Bauwerk im Thüringer Wald, fühlte ich mich erhoben: Topf und Söhne, meine Familie. Wenn auch nur um die Ecke und von weit entfernt. Wenn aber rabaukige Klassenkameraden und Jungvolkpimpel Schindluder mit meinem Namen trieben, mich gar Nachttopf nannten, drohte ich mit meinem Vater. Der war nämlich in der Partei, außerdem noch Luftschutzwart. Und Onkel Hans, sein ältester Bruder im Nachbarhaus, war sogar Zellenleiter. Nach unseren Häusern unterschieden uns die Nachbarn; wir waren Familie Steintopf, Onkel Hans (und sein, wie ich erst viel später erfuhr, nicht ganz arischer Anhang) war Holztopf. Beide Männer verschwanden 1945 aus meiner Kindheit. Beide starben 1947 im NKWD-Lager Oranienburg-Sachsenhausen. Kenntnis davon erhielten wir auf geheimnisvollen Wegen von Mithäftlingen, die amtliche Bestätigung bekamen wir erst vor wenigen Jahren aus Moskauer Archivakten.

Mit der Firma in Erfurt und den jungen Eigentümern, ihren Cousins, hatten die Falkenseer Brüder, Holztopf und Steintopf, keine Verbindung. Nur auf einigen Fotos der Trauergemeinde nach dem Tod meiner Großmutter Babette Topf im Jahre 1938 sind die seit einigen Jahren amtierenden Firmeninhaber mit meinen engeren Verwandten zu sehen, von diesen Bildern kenne ich die Gesichter der jungen Erben Ludwig und Ernst-Wolfgang Topf. Deren Fabrik habe ich bei meinen vielen Aufenthalten in Erfurt als Kind nie gezeigt bekommen. Ich wusste ungefähr, wo sie sich befand, nicht weit vom Bahnhof. Gemeinsam hatten wir nur noch den Namen, gemeinsam war uns der Firmengründer, mein Urgroßvater Johannes Andreas Topf, Bierbrauer und Feuerungsmeister, gestorben 1892. Zwei seiner Söhne führten das Geschäft zunächst gemeinsam weiter, trennten sich aber 1903 gütlich und vertraglich. Mein Großvater Julius verließ das Unternehmen, sein Bruder Ludwig führte es zur ‹Weltgeltung›, wie man zu Zeiten Kaiser Wilhelms gern sagte. Beide Brüder starben 1914, Ludwigs drei Kinder wurden Erben, die neun Kinder meines in Erfurt hoch angesehenen Großvaters, Stadtverordneter, Rentier, Freimaurer, behielten nur den guten Namen. Und den erbte ich dann auch. Dass dieser Name in Auschwitz keinen guten Klang hatte, erfuhr ich in aller Deutlichkeit später: Ein Überlebender des industriellen Massenmords, den auch die Erzeugnisse jener Firma aus Erfurt so entsetzlich effizient machten, sagte mir das, als ich mich vor zehn Jahren in der Gedenkstätte mit meinem Namen vorstellte. Eben deswegen bin ich hier, lautete meine Antwort. Das Erwachen aus kindlichem Stolz war fast ein halbes Jahrhundert früher geschehen. Ich muss etwa elf oder zwölf Jahre alt gewesen sein, als in Wochenschaubildern im Kino Krematorien, Verbrennungsöfen der Konzentrationslager gezeigt wurden, als Erbauer eine Firma aus Erfurt beim Namen genannt und ihr Firmenzeichen deutlich gezeigt wurde. Das Zeichen kannte ich, den Namen trug ich. Ob das meine Verwandten seien, wurde ich damals gefragt. Kein Zweifel, es waren «meine Leute», die ich nicht kannte. Nachfragen in der Familie und bei befreundeten Nachbarn führten zu nichts, es gab nur hilflose, unwissende Kommentare. Die beiden Cousins, Besitzer und Direktoren der bald enteigneten Firma, blieben mir ferne Geistergestalten. Der eine, Ludwig, hatte sich nach dem Einmarsch der Amerikaner in Erfurt in seinem schönen Park selbst gerichtet. Es war wohl der Bilanzselbstmord eines denkenden Menschen, wie hinterlassene Papiere glauben lassen. Der jüngere, Ernst-Wolfgang, hatte sich nach Wiesbaden abgesetzt, Frau und Kinder aus dem inzwischen sowjetisch besetzten Thüringen nachgeholt und die Neugründung des Unternehmens im Westen betrieben. Dass das für die SS ausgearbeitete Modell eines Krematoriums zur kontinuierlichen Verbrennung von Leichen und Teilen davon zum Bundespatent angemeldet wurde, führte zu öffentlichem Protest. Ich fand den Vorgang widerwärtig, allen scheinheiligen Schutzbehauptungen des Unternehmers zum Trotz. Ich war inzwischen auch im Westen angekommen. Meine Nachforschungen blieben lange lückenhaft. Ich war 16 Jahre alt, als ich Hals über Kopf mein Elternhaus und die DDR verließ. Ich hatte illegal Westzeitungen eingeschmuggelt und in der Schule heimlich verbreitet. Nur die rechtzeitige Warnung meines mutigen Klassenlehrers bewahrte mich vor der anstehenden Verhaftung. Auf Boykotthetze, so hieß das, stand Zuchthaus, auch für Oberschüler.

Nach Lehrjahren bei Siemens in Hannover kehrte ich 1956 in meine Geburtsstadt Berlin zurück, in den Tagen des Ungarnaufstands. Es dauerte lange, bis ich in Erfurt mit Hilfe meines älteren Vetters Dietrich eine vorsichtige Spurensuche zur Geschichte der Familie und der Firma beginnen und historische Dokumente an mich bringen konnte: Lebensläufe, Testamente, Fotos, Liebesbriefe, Verträge, Firmenprospekte, eine Bierzeitung zum 60. Jubiläum der Firma 1938. Das Firmengelände ist heute eine verwahrloste Industriebrache, aber ein historischer Ort, eben auch ein Täterort. Hier haben ziemlich normale Arbeiter, Ingenieure, Kaufleute und Unternehmer durch Wertarbeit Krematorien für den Massenmord entworfen, berechnet, haben gasdichte Türen und Entlüftungssysteme für Gaskammern angefertigt und sich von den Mördern bezahlen lassen. Heute wissen wir mehr darüber, dank Jean-Claude Pressac* und dank der Forschungsarbeit in den Gedenkstätten Buchenwald. In Erfurt entstand in den 90er Jahren ein Förderkreis zur Geschichtsarbeit am authentischen Ort. Was in Zeiten der DDR als erledigte Geschichte galt, mit der das volkseigene Nachfolgeunternehmen EMS (Erfurter Mälzerei- und Speicherbau) sich nicht zu beschäftigen hatte, wurde für ehemalige Mitarbeiter und Zeitzeugen wieder interessant, als eine Erbengemeinschaft von Nachkommen jenes anderen Familienzweiges Erbansprüche anmeldete. Zwar ging es nicht um das Fabrikgelände — nach Treuhandaktivitäten und Rettungsversuchen mit frischem Kapital war das Nachfolgeunternehmen gescheitert —, sondern um den Park, in dem Ludwig Topf gelebt und sich das Leben genommen hatte. Es ging um Altbesitz, der vielleicht als Dreingabe einem Neuinvestor den Kauf erleichtert hätte. Die Sache ist bis heute nicht endgültig geklärt und ist auch nicht meine Sache. Das Gespräch mit der Erfurter Öffentlichkeit, das Annehmen geschichtlicher Wahrheiten aus finsteren Zeiten, die Untersuchung von Verstrickung und Schuld, endlich die Untersuchung, Markierung und Nutzung des Geländes und einiger, auch für Erfurts Industriegeschichte interessanter Gebäude würde der inzwischen doch in der Demokratie angekommenen Landeshauptstadt zur Ehre gereichen. Bei dieser Gelegenheit könnte dann auch über den guten Namen meines Urgroßvaters und seiner Söhne gesprochen werden. 

* Jean-Claude Pressac: Die Krematorien von Auschwitz.Die Technik des Massenmordes, München, Zürich 1994

Über den Autor

Hartmut Topf ist freier Journalist und lebt in Berlin.

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