Es geht auch anders. Nur wie? Der Filmemacher Andres Veiel hat Gespräche mit 25 ehemaligen Bankern geführt und daraus sein Theaterstück „Das Himbeerreich“ komponiert.
Die beiden Journalisten Dirk Pilz und Harald Schumann haben sich mit Veiel in seiner Stammkneipe in Berlin-Kreuzberg getroffen und über Banker, die Verantwortung in der Politik und die Krise der Finanzwirtschaft gesprochen, über Einsamkeit, Theater und die Kraft des Dokumentarischen.
Dirk Pilz/Harald Schumann Herr Veiel, in Ihrem Stück versammeln sich fünf Ex-Banker und ein Fahrer und geben Lebensweisheiten von sich. Was soll das?
Andres Veiel Es sind eben nicht Lebensweisheiten, sondern verdichtete Einsichten aus sehr langen Gesprächen, die ich mit Bankern, überwiegend ehemalige Vorstände, geführt habe. Ich habe den Akteuren der Krise beim Nachdenken zusehen können. Das hat dazu geführt, dass ich in Zonen kam, wo es um die eigene Verantwortung geht, um die Rolle, die jemand in einer Bank gespielt hat, auch bei der Öffnung der Banken in Richtung des Investmentbankings. Diese Gespräche drehten sich ja immer um sehr konkrete Fälle, die letztendlich alle auf Kosten der Steuerzahler gehen. In diesem Zusammenhang interessierte mich der Einzelne, der die fatalen Auswirkungen erkannt und wider besseres Wissen trotzdem mitgemacht hat.
Pilz/Schumann Das Stück ist also eine Montage aus Gesprächspassagen, es sind Zitate?
Veiel Genau.
Pilz/Schumann Aber warum die komplizierte Methode, sowohl die konkreten Gesprächspartner als auch die konkreten Fälle zu tarnen?
Veiel Es geht nur kompliziert, weil diejenigen, mit denen ich gesprochen habe, sehr viel Geld dafür bekommen, dass sie schweigen. Sie haben qua Vertrag ein Schweigegelübde abgelegt. Wenn sie das brechen, haben sie einen Zivilprozess zu fürchten, würden unter Umständen zu Schadenersatz verurteilt. Es könnte zudem den Entzug ihrer Pension bedeuten, in jedem Fall die Exkommunikation aus der Banking Community. Sie sind damit in einem tiefen Ambivalenzkonflikt. Auf der einen Seite haben sie in den letzten Jahren viel Staub gefressen. Es sind ja alles Leute, die durch ihr Alter an Macht verloren haben, die nicht mehr gefragt und eigentlich auch nicht gebraucht werden, die in ihren Banken in einem abgetrennten Bereich arbeiten, eben in einem „Himbeerreich“. Sie werden zwar noch versorgt, aber sie sind enorm angstgetrieben, alle ihre Privilegien zu verlieren und gänzlich ausgegrenzt zu werden. Ich bin die transkribierten Gespräche deshalb mit Anwälten zusammen Wort für Wort durchgegangen. Immer ging es darum, wie stark bestimmte Einzelheiten verschleiert werden müssen. Denn intern ist ja schnell zu rekonstruieren, dass diese Äußerung sich nur auf Fall X beziehen und nur von Y kommen kann. Gleichzeitig hatten alle den großen Wunsch, über ihre Erfahrungen zu sprechen.
Pilz/Schumann Dennoch hätte es die Möglichkeit gegeben, ein einfacher nachvollziehbares, geschlossen fiktionales Stück zu entwerfen.
Veiel Gerade am Dokumentarischen lag mir aber. Mit wenigen Ausnahmen gibt es ja im Wirtschaftsjournalismus kaum Leute, die in der Lage sind, gegen ihr langfristiges Interesse zu handeln, nämlich die Quelle nicht versiegen zu lassen. Denn wenn man bestimmte Dinge gegen bestimmte Interessen recherchiert und veröffentlicht, verliert man seine Quelle, also seine Informanten. Das ist für mich eine Erklärung, warum bestimmte Fälle der Finanzkrise öffentlich bislang nicht verhandelt wurden.
Pilz/Schumann Auf diesem Wege mag das Stück ja auf authentischen Zitaten beruhen, aber selbst im anonymen Interview werden doch diese früheren Macher der Hochfinanz nur wieder ihre uneingestandenen Lebenslügen wiedergegeben haben. Was bringt Sie zu der Annahme, dass die Aussagen ehrlich sind?
Veiel Zum einen habe ich ja mehrere Quellen, ich habe immer gegengecheckt. Zum anderen geht es mir nicht um die absolute Wahrheit, sondern um verschiedene Sichtweisen, um verschiedene Arten der Rechtfertigung, des Ausweichens, Beschönigens dieser Menschen. Natürlich sind ihre Aussagen von Eitelkeiten und einem Rechtfertigungsduktus geprägt, doch das ist auch eine Wahrheit.
Pilz/Schumann Aber spiegeln die Aussagen wider, was diese Menschen wirklich denken?
Veiel Ja, ich merkte es daran, wie sie am Anfang eines Gesprächs sich erst kontrollierten und eine vorbereitete Geschichte erzählten. Aber dann gingen die Gespräche weiter, sie gerieten in einen anderen Duktus, wurden kurzatmiger, innerlich erregter. Man erlebte da eine innere Not, aus der die Notwendigkeit folgte, weiterzureden, immer begleitet von der Angst, zu viel zu sagen. Wenn jemand nur fabulieren würde, würde ich diese Angst nicht spüren.
Pilz/Schumann Das wiederum spräche dann doch für ein Stück mit einer zusammenhängenden Handlung, die es für das Publikum leichter macht, überhaupt mitzukommen.
Veiel Die behandelten Vorgänge lassen sich nicht in einer einfachen Identifikationsgeschichte erzählen, sie sind dafür zu komplex.
Pilz/Schumann Wieso? Man kann doch auch mit einer Identifikationsgeschichte komplexe Zusammenhänge darstellen.
Veiel In der Inszenierung biete ich ja auch Miniaturen von Identifikation an. Aber alles auf eine emotional einfacher zugängliche Geschichte zu bringen, wäre eine Beschränkung. Man würde dann eine zentrale Erfahrung außen vor lassen, dass nämlich die Banker immer bewusst mit Begriffen agieren, die nicht verstanden werden sollen, die gezielt eine hermetische Binnenwelt schaffen. Wer weiß schon genau, was stochastische Volatilität ist?
Pilz/Schumann Das soll man als Zuschauer erfahren?
Veiel Ja, aber ich habe ja nach einer theatralischen Übersetzung gesucht, also mit Schauspielern gearbeitet, die diese Texte denken, die in der Lage sind, diese komplizierte Sprache so zu sprechen, dass der Zuschauer zuhört.
Pilz/Schumann Sie haben keine Angst, das Publikum zu überfordern?
Veiel Nein, die Schauspieler lesen in der Regel auch nicht den Wirtschaftsteil in der Zeitung, aber ich habe so lange mit ihnen geprobt, bis sie die Texte ihrer Figuren verstanden haben, bis sie es konnten. Ich habe nicht umsonst ein Jahr lang gecastet.
Pilz/Schumann Die Figuren Ihres Stückes berichten vom Leben in den Chefetagen als eine Art Kampfspiel um Macht, Gier und Angst. Die politische Dimension dieser enormen Machtkonzentration in den Geldkonzernen kommt dagegen nicht vor. Sind die Topbanker wirklich so unpolitisch, dass sie gar nicht merken, wie stark ihr Einfluss auf Politik und Gesellschaft ist?
Veiel Es kommt vor, im zweiten Akt! Es wird davon berichtet, dass die Banker 2004 zur Bankenaufsicht ins Ministerium gerufen und ihnen klar gesagt wurde, sie müssten jetzt endlich den Geist des Investmentbankings aus der Flasche lassen, um weltweit mithalten zu können.
Pilz/Schumann In dieser Passage geht es um den Einfluss der Politik auf die Finanzwelt, nicht umgekehrt.
Veiel Es gibt aber auch jene, die vom Bankenrettungsschirm handelt. Es wird erzählt, wie die Bankenchefs nachts im Kanzleramt vorfahren und die Kanzlerin fragt, wie viel es denn sein dürfe. 300 Milliarden? 400? Und die Chefs sagen: 500 Milliarden wären schön. Daran wird sehr deutlich, dass die Politik erst den Geist aus der Flasche geholt hat und dann wie der Nasenbär durch die Manege geführt wurde.
Pilz/Schumann Und warum gibt es keine Figur im Stück, die Politiker ist?
Veiel Ich wollte das Dokumentarische nicht so weit treiben, dass alles mit allem vermischt wird, um alles irgendwie vorkommen zu lassen. Das wäre eine Ansammlung von Statements geworden. Mir war die Geschlossenheit des Raumes wichtig, in dem sich diese ehemaligen Banker bewegen. Ich wollte ihre spezifische Perspektive begreifen, um so ihre Verwicklung in die Politik zu schildern: dass die Politik das Investmentbanking gewollt und aktiv gefördert hat, dass sie kleinere Banken regelrecht genötigt hat, in diese Geschäftsmodelle einzusteigen – und dann in der Hand der Banken war.
Pilz/Schumann Aber wenn das stimmt, dann gibt es diese geschlossene Bankerwelt ja gar nicht.
Veiel Doch, denn das Himbeerreich ist eine Art ewige Gegenwart, ein Ort, an dem Menschen sind, die in den ersten zwei Akten so tun, als wären sie noch dabei. Dann wird jedoch klar, dass sie abgeschoben wurden, nicht mehr gewollt werden und gegen diese Entwertung ankämpfen.
Pilz/Schumann Es fällt ja auch ein Satz, dass Dinge gelaufen seien, die man keinem Menschen erklären könne, zumindest keinem vernünftigen. Soll das Theater es erklären können?
Veiel Ich glaube in der Tat, dass das Theater dafür sehr geeignet ist. Ursprünglich wollte ich aus diesem Stoff einen Film machen, aber er lässt sich in Deutschland nicht drehen. Das „Himbeerreich“ ist ja inzwischen mein vierter Versuch, dokumentarisch, mit einer Kamera ins Innere der Macht vorzudringen. Mit „Black Box BRD“ ist das gelungen, alle weiteren Versuche sind gescheitert. Die Menschen sprechen nicht, wenn sie eine Kamera sehen. Das ist die Chance des Theaters. Leute, die Theater machen, denken zwar immer, sie sind der Nabel der Welt, von außen betrachtet ist das Theater aber eine Nische. Weil es ‚nur‘ um Theater ging, sprachen diese Menschen mit mir.
Pilz/Schumann Aber ist das Theater auch geeignet, diese komplexen Vorgänge der Hochfinanz zu erklären?
Veiel Warum nicht? Es erscheint mir gerade geeignet, auch durch die speziellen Arbeitsbedingungen: Man muss weniger Geld in die Hand nehmen als bei einem Film, ich habe keinen Produktionsleiter im Nacken. Außerdem: Es gibt gute Bücher, die man zur Bankenkrise lesen kann. Aber dafür muss man Zeit haben, das ist ein seltenes Privileg. Ich habe es, anders als der normale Zuschauer.
Pilz/Schumann Ihr Stück „Der Kick“ war der Versuch, ein Einzelbeispiel so genau wie möglich zu rekonstruieren, um so zu einer Modellanalyse von Gewaltverhalten zu kommen. Gerade durch das sehr Konkrete wurde das Stück allgemein. Versuchen Sie das auch mit dem „Himbeerreich“?
Veiel Ja, und zwar auch an konkreten Beispielen, was ich aber tarnen musste.
Pilz/Schumann Dennoch erkennen Informierte, dass es um die Übernahme der Dresdner Bank durch die Commerzbank geht. In einer Passage heißt es sogar, dass die Bundesregierung trotz der absehbaren Katastrophe dieser Fusion sie gefordert und schon vorher angekündigt habe, dass der Steuerzahler für die Verluste aufkommen werde. Kolportieren Sie hier eine Verschwörungstheorie?
Veiel Nein, ich behandle auch nicht nur diesen einen spezifischen Fall, sondern zum Beispiel auch die Verstaatlichung der Hypo Real Estate. Allein im letzten Jahr mussten aus dem Bankenrettungsfonds für die staatliche Bad Bank „FSM Wertmanagement“ 9,8 Milliarden nachgeschossen werden. Die Krise ist also nicht abgeschlossen, wir sind mitten drin. Meine Frage ist: Was steckt eigentlich hinter all diesen Fällen? Wirklich nur Einzelne, die versagt haben? Was ist strukturell, was historisch bedingt? Und wichtig ist für mich, nicht auf 2.000 Investmentbanker zu zeigen und so zu tun, dass die Welt in Ordnung wäre, wenn sie verschwänden. Ich wollte auf ein System verweisen, in dem wir alle sehr tief drinstecken. Jeder, der eine Lebensversicherung hat, ist daran beteiligt – ohne es zu wissen.
Pilz/Schumann In der zweiten Hälfte des Stückes offenbaren die Figuren ja auch ihre eigenen Zweifel und Todesängste. Soll der Zuschauer so begreifen, dass auch ein abstrakt erscheinendes System wie die Finanzwelt von Menschen geschaffen ist?
Veiel Ja, denn es geht hier nicht um ein Phänomen, das nur ein paar Irre betrifft, sondern um Menschen in der Mitte der Gesellschaft. Übrigens habe ich meine Gesprächspartner nicht dahin gebracht, über Tod und Einsamkeit zu sprechen, sie haben selbst davon angefangen. Ich war für sie teilweise fast eine Art Beichtvater.
Pilz/Schumann Sie zeigen von Menschen geschaffene Strukturen, also auch von Menschen änderbare. Damit verliert das Bankensystem seine scheinbare Naturgesetzhaftigkeit. Ist das die Hoffnung, von dem Ihr Stück getragen ist?
Veiel Es ist zumindest ein wichtiger Aspekt für mich. Die allgemeine Resignation, dieses Denken, dass „man da nichts machen kann“ kommt ja aus dem Nichtverständnis der Vorgänge an Finanzmärkten. Viele verweigern sich regelrecht, das überhaupt wahrzunehmen, eben weil sie es nicht verstehen. Deshalb breche ich diese abstrakte Welt herunter und zeige im Stück: Jede Entscheidung ist in einem Gremium in einer bestimmten Situation getroffen worden, in der man sich auch anders hätte entscheiden können. Es gibt eben immer Alternativen, der sogenannte Sachzwang existiert nicht.
Pilz/Schumann Und kurz vor Schluss des Stückes ergeht dann Alarm wegen eines möglichen Sturms der Massen auf die Bank. Haben Sie da Ihre eigenen Revolutionshoffnungen untergebracht?
Veiel Überhaupt nicht! Das schöne an einer Recherche ist ja, dass man auf Unerwartetes stößt. Ich habe zufällig erfahren, wie die Banken auf die Occupy-Bewegung reagiert haben: Sie haben Notarbeitsplätze in einem Bunker eingerichtet, weil sie Angst hatten, dass die Handelsprozesse bei einer Stürmung der Bank unterbrochen werden könnten – sie fürchteten, bei einem bestimmten Deal zu spät zu sein. Wie viel Angst muss herrschen, wenn schon die Möglichkeit einer großen Demonstration ausreicht, dass man ehemalige Kalte-Kriegs-Bunker außerhalb der Stadt einrichtet und alte Tastentelefone aufstellt?
Pilz/Schumann Die maßgeblichen Leute des Bankensystems wissen also, dass es einen Grund gibt, die Bank zu stürmen?
Veiel Das kann man so lesen, ja. Ich stand einmal mit einem Banker in Frankfurt vor einem der Banktürme, und er fragte mich: „Was sehen Sie, wenn Sie genau hinsehen? Der Turm fault von innen. Da arbeiten keine Menschen mehr, die sich mit ihrer Arbeit identifizieren, da leben nur noch Nomaden, die heute in London sind und übermorgen in Singapur.“
Pilz/Schumann Nun gibt es im Stück aber auch einen Chor, der auffallend häufig Vater-Sohn-Konflikte anspricht. Warum?
Veiel Die Chöre werden nicht beleghaft eingesetzt, um zu sagen: Aha, da hat einer ein Vaterproblem, deshalb hat er das oder das getan. Aber unter allen Bankern, mit denen ich gesprochen habe, waren nur zwei Frauen. Und immer, wenn es um prägende Familienkonstellationen ging, waren ausschließlich Vätergeschichten das treibende Moment. Ich bin da immer wieder auf Demütigungserfahrungen und Gewalterfahrungen gestoßen. Für viele war dabei leitend, dass sie das nicht noch einmal erleben wollen. Und was muss geschehen, dass es sich nicht wiederholt? Indem man ganz oben ist, wo man niemand mehr über sich hat, der einem in den Nacken hauen kann. Und indem man ein Frühwarnsystem ausbildet, um rasch zu erkennen, wer gefährlich werden könnte. Das sind ja unglaublich machtbewusste Menschen, die einen Raum betreten und sofort prüfen, wer wie im Raum steht und womöglich etwas streitig machen könnte. Dieser Radar war notwendig, um so weit nach oben zu kommen. Ich will nicht sagen, das war die Voraussetzung, das wäre absurd, aber es ist ein wichtiges Moment.
Pilz/Schumann Unter den versammelten Ex-Bankern ist die mit dem aggressivsten Auftritt allerdings ausgerechnet eine Frau. Das erscheint wenig realistisch, das Investmentbanking ist ja fast ausschließlich eine Männerdomäne.
Veiel Wenn man sich Goldman Sachs anschaut zum Beispiel, dann sind da sehr viele Frauen, die immer – das zeigt meine Figur der Frau Manzinger – auf einem sehr schmalen Grat unterwegs sind, einerseits ihre Weiblichkeit zu instrumentalisieren und andererseits instrumentalisiert zu werden. Das macht es schwerer, eine Figur schnell einzuordnen: Auf der einen Seite hat sie es schwer, sich in der Männerwelt durchzusetzen, auf der anderen tritt sie umso aggressiver auf. Zum einen, so sagt sie, hätten zwei Leute nachfolgen müssen, um zu schaffen, was sie geschafft hat, zum anderen verliert auch diese Figur den Boden unter den Füßen.
Pilz/Schumann Haben Sie auch eigene politische Schlussfolgerungen aus der Fehlentwicklung des Finanzsystems gezogen?
Veiel Ja, aber sie sind nicht im Stück enthalten. Entscheidend ist für mich, dass das Stück deutlich macht, dass es die sogenannten Sachzwänge nicht gibt, dass die Weichen anders hätten gestellt werden können. Wir haben es zum Beispiel bei der Kreditpolitik der EZB, für die am Ende die Steuerzahler haften, nicht mit Zwangsläufigkeiten zu tun.
Pilz/Schumann Aber was müsste geschehen, um die Gesellschaft vor der Finanzindustrie zu schützen?
Veiel Zum einen braucht es in der Mitte der Gesellschaft überhaupt ein Interesse an diesen Vorgängen, zum anderen natürlich mehr Transparenz. Es geschehen da ja lauter Dinge jenseits einer demokratischen Kontrolle. Wer hat denn den Präsidenten der EZB, der von Goldman Sachs kommt, gewählt? Das sind Vorgänge mit ungeheuren Konsequenzen, die demokratisch kontrolliert werden müssen.
Pilz/Schumann Es gibt ja einen gesellschaftlichen Großkonflikt, der zum Teil vergleichbar ist: der seit 30 Jahren dauernde Streit um die Stromkonzerne und die Großkraftwerke. Hier hat sich erst etwas geändert, seitdem Bürger die Möglichkeit bekamen, ihren Strom selbst zu erzeugen. Das hieße in diesem Fall: Gründet Banken! Wir brauchen mehr Banken in Bürgerhand.
Veiel Genau, es geht ja nicht darum, die Bankentürme abzureißen, sondern genauer zu schauen, was verändert und erhalten werden sollte. Es gibt ja schon Genossenschaftsbanken, aber sie sind nicht systemrelevant. Sie werden nicht um jeden Preis gerettet. Eine meiner Schlussfolgerungen ist deshalb, dass jeder sich stärker selbst verantwortlich fühlen muss. Was ist mit meiner Lebensversicherung? Dem Pensionsfonds? Ich kann ja die Bank wechseln. Wir müssen wegkommen von einem Politikverständnis, das davon ausgeht, dass der Einzelne keinen Einfluss hat. Man hat ihn, man kann wissen wollen, was mit meinem Geld passiert.