Der Erfolg des ersten Jahres – vielleicht sogar die größte Überraschung – ist die Selbstverständlichkeit, mit der sich die Kulturstiftung des Bundes in kürzester Zeit im System der deutschen Kulturförderung behaupten konnte. Während nun über eine Fusion der Kulturstiftung der Länder mit der Kulturstiftung des Bundes weiter verhandelt wird, hat sie sich bereits als verlässlicher und kompetenter Partner bewährt, der in der Kulturpolitik einen neuen Akzent gesetzt hat. Das ist eine gute Basis für die Arbeit einer künftigen gemeinsamen Deutschen Kulturstiftung.
Vor allem der deutsche Einigungsprozess und die Erweiterung der Europäischen Union – Schwerpunktthemen dieser Ausgabe – haben das Bewusstsein von der Notwendigkeit, Kultur und Gesellschaftspolitik in ihren wechselseitigen Zusammenhängen zu begreifen, gestärkt. Die Kulturstiftung des Bundes versteht ihren Auftrag dahingehend, als Mittlerin zwischen Kultur und Politik in einer Zeit neuer gesamtgesellschaftlicher Herausforderungen aktiv zu werden. Die Stiftung fördert große und kleinere Projekte, stärker künstlerisch oder eher kulturwissenschaftlich ausgerichtete; sie fördert alle Sparten und über deren traditionelle Grenzen hinweg; sie beteiligt sich an kulturellen Großereignissen wie der international gezeigten Ausstellung der Konferenz Nationaler Kultureinrichtungen oder dem Albert Einstein-Gedenkjahr 2005, aber sie fördert auch mit dem Fonds neue Länder das bürgerschaftliche Engagement für kleinere Kulturinitiativen außerhalb der kulturellen Zentren. Das Spektrum der geförderten Projekte reicht von einer Ausstellung über die gesamteuropäische Bewegung des Kubismus im Sprengelmusem Hannover über ein deutsch polnisches Forum zum Thema Flucht und Vertreibung bis zu einem experimentellen Theaterfestival im Stadtraum von Leipzig. In der Förderpraxis der Kulturstiftung stehen diese Projekte gleichberechtigt nebeneinander. Die Allgemeine Projektförderung wird so als ein wichtiges Instrument zur Förderung von kulturellen Aktivitäten in den Städten und Regionen positioniert, weil es eine fatale Entwicklung wäre, wenn sich künftig nur noch kulturelle <Leuchtturm>-Einrichtungen internationale Kontakte und Kooperationen leisten könnten.
Im Programmbereich mit seinen vier Themenschwerpunkten sind neue Projekte hinzugekommen, die wiederum zeigen, wie facettenreich die verschiedenen Themen behandelt werden. Am Beispiel des Programm Mittel- und Osteuropa lässt sich pars pro toto zeigen, wie die Vielfalt der Projekte die Komplexität eines Themas widerspiegelt: Europas Kulturkonferenz Berlin gibt Politikern und Kulturfachleuten eine internationale Plattform für die Behandlung der kulturellen Dimension der EU-Ost-Erweiterung; Relations fördert den Dialog zwischen mittel- und osteuropäischen Künstlern mit deutschen Kulturinstitutionen; die Ausstellung Traumfabrik Kommunismus in der Frankfurter Schirn widmet sich in mehreren Formaten einem Aspekt des gesamteuropäischen kulturellen Erbes, The Post-Communist Condition geht den kulturellen Veränderungen in den osteuropäischen Transformationsgesellschaften nach und die Ausstellung Zeitgenössische Kunst aus Russland präsentiert die aktuelle russische Kunstszene.
Kultur braucht die internationale Perspektive und sie sucht den Bezug zu den gesellschaftspolitischen Herausforderungen unserer Zeit. Die in diesem Magazin versammelten Artikel namhafter Autoren wie Andrei Plesu, Werner Sewing, Friedrich Dieckmann und Wolfgang Engler, Navid Kermani und Wolf Lepenies untersuchen die Bedeutung kultureller Aspekte im gesellschaftlichen Wandel und geben der Kulturstiftung des Bundes Anregungen und Empfehlungen mit auf den Weg.