Lassen sich auch in der Kultur „Grenzen des Wachstums“ feststellen oder sind wir (moralisch) verpflichtet, das Kulturerbe und seine Institutionen immer weiter zu vermehren? Unsere Kultur ist stark geprägt vom Ethos der Überlieferung, des Erhaltens und des Erinnerns. Das Sammeln, Bewahren, Restaurieren und Gedenken gehört zu den Grundpfeilern unseres kulturellen Selbstverständnisses. Dementsprechend unterliegen alle Prozesse des Vergessens, des Verlusts, des Verzichts oder der Vernachlässigung dem Verdikt der „Unkultur“. Die Kulturstiftung des Bundes will sich diesem Thema in einer mehrtätigen, interdisziplinären Veranstaltung im Juni 2012 von einer übergeordneten Warte aus widmen, denn die Frage, was wir uns in Zukunft noch leisten können oder wollen oder wovon wir uns gegebenenfalls verabschieden müssen, wird immer dringlicher.
Wir wollen mit Experten darüber diskutieren, wie stark unsere Kultur von der Macht der Vergangenheit und einer forcierten Erinnerungskultur geprägt ist, inwieweit unsere kulturelle Praxis sich zugunsten unserer Zukunftsfähigkeit von der Verpflichtung auf die Tradierung lösen kann und darf. Lässt sich dem Bruch mit Traditionen, dem Ausscheren aus Erhaltungspraxen auch etwas Positives abgewinnen, lassen sich Kulturen des Bruchs, so der Titel, denken und demokratisch legitimieren? In der aktuellen Ausgabe unseres Magazins haben sich der Althistoriker Christian Meier und der Autor und Filmemacher Alexander Kluge in Interviews diesem Fragenkomplex gestellt. Ein Essay des Historikers Per Leo und ein literarischer Beitrag der Schriftstellerin Kathrin Röggla runden den Themenschwerpunkt ab.
Zwei ungewöhnliche Perspektiven auf die bundesrepublikanische Geschichte nehmen die Beiträge von Gerd Koenen und Wolfgang Kraushaar ein. Anlässlich der Ausstellung BILD Dir Dein Volk – Axel Springer und die Juden im Frankfurter Jüdischen Museum beleuchtet der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar die Reaktion der Linken auf Axel Springers pro-israelisches Engagement in den 1960er und 70er Jahren. Der Publizist Gerd Koenen widmet sich der immer noch wenig untersuchten Rezeptionsgeschichte der sowjetischen Gulags, die durch den Roman Atemschaukel der Nobelpreisträgerin Herta Müller erstmals seit Alexander Solschenizyns Archipel Gulag wieder einem größeren Publikum ins Gedächtnis gerufen wurden. Nun fördert die Kulturstiftung des Bundes eine Wanderausstellung, die den Spuren des Gulags 1929 –1956 folgt.
Gegen Ende des Kleist-Jahres und aus Anlass des 200.Todestages Heinrich von Kleists am 21. November 2011 findet im Maxim Gorki Theater Berlin ein großes von der Kulturstiftung gefördertes Theaterfestival statt, bei dem unter anderem alle Dramen Kleists zur Aufführung kommen. Der international renommierte ungarische Schriftsteller und Kleist-Experte László F. Földényi würdigt den Dichter als Komet der Literatur.
Auch die Berlin Biennale, einer der von der Kulturstiftung geförderten „kulturellen Leuchttürme“, lassen wir Schatten vorauswerfen, indem wir dem Kurator der 7. Berlin Biennale, Artur Żmijewski, das Wort geben. Der polnische Künstler erklärt, was er unter politischer Kunst versteht. Schließlich freuen wir uns ganz besonders über ein Interview mit dem britischen Wachstumskritiker Tim Jackson, dessen Buch Wohlstand ohne Wachstum – Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt große Aufmerksamkeit in Deutschland erlangt hat. Das Interview entstand im Rahmen einer von der Kulturstiftung des Bundes geförderten Veranstaltungsreihe und eines Buchprojektes des Suhrkamp Verlages zum Thema Werden wir die Erde retten? – Gespräche über die Zukunft von Technologie und Planet. Die siebenteilige Veranstaltungsreihe vom Dezember 2011 bis Juni 2012 gehört thematisch zu unserem Themenschwerpunkt „Nachhaltigkeit“, den wir unter anderem mit dem Festival Über Lebenskunst im August dieses Jahres gestaltet haben. Die Bilder des Fotojournalisten Sebastian Bolesch geben einen atmosphärischen Eindruck von diesem Festival wieder, dessen große Resonanz beim Publikum und in den Medien optimistisch stimmt.