„Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.“ So einfach hat Albert Einstein seine Sicht auf das Morgen formuliert. Wir verstehen die Kulturstiftung des Bundes auch als eine Zukunftswerkstatt. Zurzeit denken wir sogar daran, einen eigenen Programmbereich zu eröffnen mit dem Titel Leben in Zukunft. Zukunftsmusik ist das, aber wir wollen sie schon einmal anklingen lassen. Den Generalbass hierfür liefern drei Initiativen, mit denen die Kulturstiftung des Bundes ins neue Jahrzehnt startet.
AGENTEN – für das Publikum von morgen, so heißt das erste Vorhaben. Wir versuchen hierbei, neue Wege im Bereich der Kulturellen Bildung zu gehen. Wir fördern leidenschaftliche und in großer Freiheit operierende Kulturvermittler, die an und mit Schulen arbeiten, um von dort aus neue kulturelle Allianzen zu schmieden. Alle Museen, Theater und Konzerthäuser des Landes suchen ihr Publikum von morgen. Unsere Schulen brauchen neue Partner in ihrer Region. Wir fördern AGENTEN der Kultur, die beides, das jugendliche Publikum und die kulturelle Einrichtung, auf neue Weise zusammenbringen.
Unsere zweite Zukunftsinitiative heißt Über Lebenskunst. Sie steht für die gesamtgesellschaftliche Übung, auf die Misere des Klimawandels produktiv zu reagieren – ohne Panikmache und ohne Verantwortungsflucht. Wir suchen nach einer Lebenskunst für das 21. Jahrhundert, die der Gefährdung menschlichen Überlebens auf dem Planeten Rechnung trägt. Wir wollen Kunst und Kultur, Wissenschaft und soziale Praxis in einer Weise zusammenbringen, die neue Ausblicke auf ein ökologisch zukunftsfähiges Dasein eröffnet. Gemeinsam mit dem Haus der Kulturen der Welt planen wir in Berlin für den Sommer 2011 ein Themenfestival, das Jung und Alt, Menschen aus allen gesellschaftlichen Bereichen in seinen Bann zieht.
Die Menschen sind unsterblich verliebt in die Idee ihrer Unsterblichkeit. Von Helden und Monstern haben wir einen solchen Sieg über den Tod bisher am ehesten erwartet. Deswegen heißt unsere dritte Zukunftsinitiative genau so: Von Helden und Monstern. Sie korrespondiert mit einer aktuellen Debatte, in der es um mehr als die bloße Idee der Unsterblichkeit geht. „Die offenkundig ersehnte und geplante Herstellung des perfekten Menschen ist in greifbare, das heißt technisch machbare Nähe gerückt.“ So beschreibt Wolfgang Frühwald die anthropologische Schwelle unserer Gegenwart. Im Feld der Popkultur ist sie längst überschritten und zu einem Massenphänomen geworden. Wolfgang Frühwald berichtet davon in diesem Magazin: dem Vampirfieber, der Wiederkehr von Untoten, dem Erfolg der Buch- und Filmserie Twilight. Anlass dafür ist das Festival Von Helden und Monstern, das die Kulturstiftung des Bundes Anfang nächsten Jahres in Leipzig veranstalten wird.
Wie unser Leben in Zukunft aussehen wird, beschäftigt auch andere Autoren dieses Magazins: Christian Demand sucht in philosophischen Design-Betrachtungen im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe Philosophie:Kunst nach „guter Form“ und „Schönheit von überzeitlicher Qualität“. Er konstatiert das Scheitern jeder „autoritativen Theorie des gebildeten Geschmacks“, preist stattdessen das „aufregend tumultöse Nebeneinander widerstreitender Formen“ und bilanziert nüchtern: „Es gibt nun einmal keine ‚Lebensform unseres Zeitalters‘ im Singular.“ Diesen Satz hätte Rainer Werner Fassbinder wohl gerne unterschrieben. Seinen Film Welt am Draht analysieren Rainer Rother und Jan Distelmeyer aus verschiedenen Blickwinkeln. Dreißig Jahre nach ihrer Entstehung sah diese Fernsehproduktion bereits so alt aus, dass die Rainer Werner Fassbinder Foundation mit Mitteln der Kulturstiftung des Bundes eine Restaurierung durchführen musste. Ab sofort richtet Fassbinders Science-Fiction-Drama seine existenzielle Frage in kristalliner Digital-Qualität an uns: „Wer sagt uns, dass wir hier nicht auch Computer sind? Sie, ich, alle hier!“
Wie immer gibt Ihnen die Lektüre dieses Magazin einen Überblick über die Arbeit der Kulturstiftung des Bundes und ihrer aktuell geförderten Projekte. Zum Beispiel in Berlin: Der Kunstsommer der Hauptstadt gehört der 6. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst. Unter Leitung von Kathrin Rhomberg verbindet sie in diesem Jahr Zeitgenössisches mit Historischem. Michael Fried berichtet hierzu von der Adolph-Menzel-Ausstellung, die Teil der Berlin Biennale sein wird – ebenso wie die Fotografien von Michael Schmidt, die Sie in diesem Magazin sehen. Stephan Weidner, der in Berlin eine Gastprofessur des von der Kulturstiftung geförderten Deutschen Übersetzerfonds innehat, setzt dem allgemeinen „Diktat des Verstehens“ ein fulminantes „Lob des Nichtverstehens“ entgegen. Sein Ausgangspunkt sind Übersetzungen des Koran, die Diagnose aber reicht weiter: Wir erleben heute im medialen Diskurs ebenso wie in zwischenmenschlichen Beziehungen einen „Raubbau“ an allem Schwierigen, der Phantasie und Kombinationsgabe gleichermaßen bedroht. Dabei ist gerade in der Debatte um andere Kulturen jede „produktive Unzufriedenheit“ einer Verstehens-Anstrengung tausendmal wertvoller als die puddingweiche Selbstzufriedenheit von globalen Verstehens-Behauptungen. Thomas Pogge fragt in einem Interview mit Christian Schlüter nach neuen Kulturen des Wirtschaftens. So lautet auch der Titel der von der Kulturstiftung des Bundes geförderten Konferenzreihe in Berlin. Die Finanzkrise und den Klimawandel nennt Pogge als Beispiele eines „eklatanten Marktversagens“: „Deswegen bedarf unsere Lebensform einer nachhaltigen Veränderung.“ Neue, gemeinwohlorientierte, weltweit verbindliche Marktregeln werden ein Teil davon sein.
Auf geografisch kleinem Raum spielte sich dagegen das Stockholmer Leben der jüdischen Dichterin Nelly Sachs ab. Peter Luthersson schreibt davon in einem wunderbar mit Gedichten durchsetzten Essay. Das Jüdische Museum Berlin würdigt die Nobelpreisträgerin mit einer Ausstellung unter dem Titel Flucht und Vertreibung – Nelly Sachs, Schriftstellerin Berlin/Stockholm. Demgegenüber widmet sich Manuel Gogos dem jüdischen Leben der Gegenwart. Ausgerechnet Deutschland! – so auch der Titel der Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt am Main – wurde nach der Wiedervereinigung zum wichtigsten europäischen Einwanderungsland russischer Juden. Sie waren Eingeladene in Deutschland, nicht Vertriebene, und prägen nach Auffassung von Manuel Gogos heute die „Konturen eines neuen, europäischen Judentums“, das den kulturellen Austausch zwischen Berlin, New York und Tel Aviv zu pflegen versteht. Die an Tel Aviv angrenzende arabische Hafenstadt Jaffa bildet den Schauplatz eines aufregenden Films, den Christina Bylow beschreibt. Ajami, so der Name des Stadtteils von Jaffa, den der Film porträtiert, ist in Israel bereits ein Kultfilm. Ajami ist eine Gegend im permanenten Ausnahmezustand, es herrschen blutige Konflikte zwischen Muslimen, Juden und Christen, und es herrschen Immobilienspekulanten, unter deren Händen das aufregend lebendige Ajami der Gegenwart verschwindet, Tag für Tag. Der Film wurde vom World Cinema Fund (WCF) gefördert und ist wie so viele Filme des von der Kulturstiftung mitgegründeten WCF preisverdächtig: Ajami wurde für den Oscar in der Kategorie „Bester ausländischer Film“ nominiert.