Einleitung
Kultur ist für alle da … oder nicht? Das ist eine der Fragen, mit der sich aktuell 39 Kulturinstitutionen beschäftigen, die am Programm „360° – Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft“ teilnehmen. Ein Programm, das Einrichtungen die Möglichkeit gibt, Veränderungsprozesse zu beginnen, um sich einem diversen Publikum zu öffnen und so auch postmigrantische kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Aber engt die Frage nach einer „postmigrantischen Perspektive“ nicht schon ein? Wer sich mit dem Thema näher auseinandersetzt, dem wird schnell klar: Diversität hat viele Facetten und der Blick auf eine postmigrantische Gesellschaft ist nur eine davon. Die Frage nach Genderneutralität oder Inklusion spielen dabei ebenso mit hinein.
Impulsvorträge
Anschließende Diskussion
Im Anschluss an die Impulse tauschten sich die Vortragenden in einer Diskussion aus, bei der auch die anderen Werkstattteilnehmenden via Chat Fragen stellen konnten.
Eine Fragestellung – mehrere Perspektiven
Es wird deutlich, dass Einrichtungen, die sich bewusst auf Diversitätsprozesse einlassen, gleich mit mehreren Themen konfrontiert werden. Egal, ob es um mehr Diversität in der Personalstruktur geht oder um inhaltliche Strategien, die ein größeres diverses Publikum zum Ziel haben: Wer den Schritt zu Veränderung und Öffnung wagt, muss zwangsläufig damit rechnen, dass sich noch weitere Fragen und Themenfelder auftun.
Knappe Ressourcen und die Sache mit dem Postmigrantischen
Dan Thy Nguyen, Theaterregisseur, Autor und künstlerischer Leiter des Fluctoplasma Festivals tut sich schwer mit dem Begriff des Postmigrantischen, gerade weil die Milieus zu unterschiedlich sind. Da gibt es Akademikerinnen wie Arbeiter, sozial Benachteiligte, politisch Aktive und dazu generationsübergreifende Konflikte innerhalb postmigrantischer Gruppierungen. Für Kulturschaffende wie ihn ist es eine kaum zu bewältigende Aufgabe, alle zu erreichen. Weshalb er eine Fokussierung für notwendig hält und eine „Aufgabenfelddefinierung“ betont, zumal die Ressourcen begrenzt sind. Darüber hinaus plädiert er für eine Auseinandersetzung und ein Aushandeln auf Augenhöhe, die Akzeptanz von unterschiedlichen Meinungen und Perspektiven. Die an ein Zitat von Karl Marx angelehnte Frage, ob dabei die Struktur das Bewusstsein verändert oder das Bewusstsein die Struktur, kann Nguyen ganz klar beantworten: Beides.
Teilhaben, nicht Publikum beschaffen
Delal Atmaca, Mitbegründerin und Geschäftsführerin des Dachverbandes der Migrantinnenorganisationen DaMigra e. V., empfiehlt ebenfalls eine Zusammenarbeit zwischen Kulturinstitutionen und unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Vereinigungen wie LGBT- oder Migrantenorganisationen. Das setze jedoch eine Offenheit für Themen und die Möglichkeit einer Mitgestaltung von Programmen voraus. Sonst reduziere sich die Funktion der Organisationen auf die des Publikumsbeschaffers und Türöffners, eine wirkliche Teilhabe sei das allein jedoch noch nicht. Als positive Beispiele nennt sie zwei 360°-Projekte in der Stadt Frankfurt am Main, bei denen das Gelingen der Zusammenarbeit ihr von lokalen Migrantenorganisationen bestätigt wurde.
Kollaboration mit Chancen und Fallstricken
Suy Lan Hopmann, seit 2018 Kuratorin für Sonderprojekte und Diversity im MARKK, Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt, kann aus aktuellen Erfahrungen berichten, wie komplex die Zusammenarbeit mit verschiedensten Beteiligten sein kann. Für das Frühjahr 2021 ist die Eröffnung der Ausstellung „Hey Hamburg, kennst du Duala Manga Bell?“ geplant: eine Ausstellung über die deutsch-kamerunische Kolonialgeschichte, für junge Menschen von zehn bis 25 Jahren. Bei diesem Projekt erlebt Hopmann hautnah, welche Chancen, aber auch welche Fallstricke eine Kooperation mit diversen Partnern und noch diverseren Interessen beinhalten kann. Auch wenn die Evaluation noch aussteht, kann sie schon jetzt wichtige Erkenntnisse formulieren: Allein diverse Personen mit unterschiedlichen Hintergründen für Projekte zusammenzubringen, reicht für eine erfolgreiche Zusammenarbeit nicht aus, der Kooperationsprozess muss moderiert werden. Dazu rät sie, bereits im Vorfeld mögliche strittige Aspekte zu diskutieren, bevor die eigentliche Arbeit beginnt. Und: Institutionen müssen intern an ihren Strukturen arbeiten. Sonst funktioniert nach den Erfahrungen von Suy Lan Hopmann diversitätsorientierte Öffnung auch mit diversen Kollaborationspartnerinnen nicht.
Den Blick fürs Publikum trainieren
Wie man sich von eurozentristischen Sichtweisen lösen kann und dazu ein Theaterprogramm schafft, das ein diverses Publikum anspricht, ist für den Generalintendanten des Theater Bremen, Michael Börgerding, eine wichtige Herausforderung. Dieser stellt er sich, indem er zum einen den Blick trainiert auf die „Dinge, die künstlerisch entstehen“, und dabei schaut, „was passiert, wenn unterschiedliche Menschen zusammenkommen“. Zum anderen, indem er auch „niedrigschwellige Angebote“ macht. Ein diverses Publikum zu erreichen, hat seiner Erfahrung nach weniger mit einer migrantischen oder postmigrantischen Frage zu tun, sondern mit der Haltung. Der Generalintendant fragt, wie sinnvoll das Festhalten an einem hohen Kulturanspruch ist, der zum einen zwar davor bewahrt, „Gefälligkeitskunst“ anzubieten, zum anderen aber konsequent einen bestimmten Teil der Öffentlichkeit von den kulturellen Angeboten ausschließt: „Dann hat man ein Problem mit dem Publikum, was vielleicht etwas anderes sucht.“ Als erfolgreiches Beispiel nennt er das Stück „Istanbul“, in dem deutsche Schauspieler Lieder der türkischen Sängerin Sezen Aksu singen. Auch wenn Börgerding der Ansicht ist, dass Programme wie „Istanbul“ nicht alleinig die „Ästhetik der Zukunft“ sein werden, weiß er um die Wichtigkeit solcher Angebote. Denn sie öffnen das Haus und erreichen die türkische Community, die sich in dem Programm wiederfindet.
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