Kulturen des Wirtschaftens

Eine dreiteilige Veranstaltungsreihe zusammen mit der LMU München

Die zweite Tagung der Konferenz "Kulturen des Wirtschaftens" unter dem Titel "Blickwechsel: Wirtschaft wider Willen?" am 04. Juni 2010 im Radialystem V in Berlin

Angesichts der aktuellen Krise stellt sich die Frage dringlicher denn je, wie wir Wirtschaft anders und besser denken und gestalten können. Ökonomisches Handeln ist auch eine Form kultureller Praxis und als solche von besonderem Interesse: Wie hat sich das Verhältnis von Wirtschaft und Kultur historisch gewandelt? Wie funktioniert das Wirtschaften in anderen zeitgenössischen Kulturen? Und vor allem: Wie kann und soll unsere Wirtschaftswelt in Zukunft aussehen? Diesen und anderen Fragen stellten sich hochkarätige Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur an drei Tagen im Mai und Juni 2010 im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Kulturen des Wirtschaftens“. 

Die erste Tagung „Einblicke: Wunder Wirtschaft?“ untersuchte die Facetten des Wandels von Wirtschaftsformen. Die zweite Veranstaltung „Blickwechsel: Wirtschaft wider Willen?“ beschäftigte sich mit dem Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Kultur. Die dritte Konferenz „Durchblicke: Gewinnen wollen!“ sollte dazu anstiften, Utopien für eine neue Kultur des Wirtschaftens zu entwickeln.

Veranstaltungsprogramm

7. Mai 2010 - Einblicke: Wunder Wirtschaft?

Wirtschaftshistoriker unterscheiden zwischen antiken und modernen Auffassungen des Wirtschaftens. Seit dem ausgehenden Mittelalter scheint das Wirtschaften zunehmend zum Mittelpunkt unserer Lebensführung geworden zu sein. Die Veranstaltung untersuchte kulturelle Bedingungen gegenwärtiger Wirtschaftsformen und deren soziohistorische Transformationen.

Moderator: Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Bertram Schefold (Frankfurt) lehrt Wirtschaftswissenschaften an der Johann Wolfgang-Goethe Universität. Seine Forschungsschwerpunkte sind Kapitaltheorie, Umweltökonomie und Theoriegeschichte. Tagesbeobachterin: Frauke Liesenborghs, Geschäftsführerin von Global Challenges Network e.V.

Referenten:

Prof. Dr. Adelheid Biesecker (Bremen)
ist emeritierte Professorin für Wirtschaftswissenschaften. Sie leitete mit anderen das Institut für Institutionelle Ökonomie und Sozial-Ökonomie und gehörte der Enquete-Kommission "Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements" des Deutschen Bundestages an. Ein Arbeitsschwerpunkt liegt in der Entwicklung von Alternativen zur neoliberalen Globalisierung.

Dr. Dambisa Moyo (London / New York)
ist Ökonomin mit Abschlüssen in Harvard und Oxford. Sie war u.a. für die Weltbank und Goldman Sachs tätig; 2009 ehrte sie das Weltwirtschaftsforum mit dem Titel "Young Global Leader". Dr. Moyo kritisiert die aktuelle Entwicklungshilfepolitik und entwickelt tragfähige Alternativen, die z.B. auf eine Kopplung von Demokratie und Marktwirtschaft verzichten.

Prof. Dr. Ingo Pies (Halle-Wittenberg)
ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsethik an der Martin-Luther-Universität Halle. Schwerpunkte seiner Forschungstätigkeit sind Wirtschafts- und Unternehmensethik, Global Governance sowie Corporate Citizenship.

Prof. Dr. Yunxiang Yan (Los Angeles)
lehrt an der University of California Anthropology und ist dort Co-Director des Center for Chinese Studies. Seine Forschungen gelten dem Zusammenhang von Globalisierung und Individualisierungsmustern in China, wo er einen alternativen Modernisierungsprozess im Gange sieht.

Filmprogramm
Einführung: Florian Wüst

Europa im Werden – Der Schuman Plan, Eva Kroll, BRD 1952, 10'
Marketing, Pierre Long, FR/UK 1953, 17'
Mit beiden Füßen auf der Erde, DIE WAAGE, BRD 1959, 3'
Ilha das Flores, Jorge Furtado, BR 1989, 13'
Last Men Standing, Sasha Maja Djurkovic, UK 2005, 17'
Sieben bis zehn Millionen, Stefan Panhans, D 2005, 5'30''

04. Juni 2010 - Blickwechsel: Wirtschaft wider Willen?

Der Ökonomie wird nachgesagt, sie sei in fast allen Lebensbereichen zum dominanten Faktor geworden. Wie steht es um das Verhältnis zwischen Kultur und Wirtschaft wirklich? Inwiefern verändert uns die Wirtschaft und wie beeinflussen Religion, Politik und Menschenbilder ihrerseits die Wirtschaftsformen? In dieser Veranstaltung wurden die Wechselwirkungen zwischen Kapitalismus und kulturellen Lebensformen thematisiert.

Moderator: Christian Schlüter, Kulturredakteur bei der Frankfurter Rundschau, Tagesbeobachterin: Anja Kohl, Finanzjournalistin und ARD-Börsenmoderatorin

Referenten:

Prof. Dr. Karl-Heinz Brodbeck (Würzburg)
lehrt Volkswirtschaftslehre an der FH Würzburg. Der Philosoph, Ökonom, Kreativitätsforscher und Wirtschaftsethiker arbeitet zu Geldtheorie, Wirtschaftsethik, Kreativität und Gesellschaft sowie buddhistischer und interkultureller Philosophie.

Prof. Dr. Eva Illouz (Jerusalem)
ist Professorin für Soziologie und Anthropologie an der Hebrew University. Ihren Arbeitsschwerpunkt bildet die Analyse der kapitalistischen Konsumgesellschaft und Medienkultur sowie die Bedeutung von Emotionalität und Rationalität im Zusammenhang mit unserer Wirtschaftsform.

Prof. Dr. Thomas Pogge (New Haven)
ist Leitner Professor für Philosophie und internationale Angelegenheiten an der Yale University. Er forscht zu innovativen Konzepten globaler Gerechtigkeit, die Fragen nach notwendigen Veränderungen der bisherigen Weltordnung und einen radikalen Wandel des Markt- und Institutionengefüges zugunsten der Armen mit einbeziehen.

Prof. Brigitte Young, PhD (Münster)
lehrt Internationale Politische Ökonomie an der Westfälischen Wilhelms-Universität. Sie war Mitglied der „Warwick Commission examining the future of the world trade system“ sowie der Enquete-Komission des Deutschen Bundestags "Globalisierung der Weltwirtschaft". Ihre Arbeitsschwerpunkte gelten u.a. Fragen der politischen und geschlechtsspezifischen Gestaltung der Weltwirtschaft im Kontext der Globalisierung.

Filmprogramm:

Inflation, Hans Richter, D 1928, 3'
Kreislauf, Deutscher Sparkassen- und Giroverband, D 1932, 2'
Free To Choose, Vol. 1 – The Power of the Market: The Pencil, Milton Friedman, USA 1980, 2'30''
Very Nice, Very Nice, Arthur Lipsett, CA 1961, 7'
Product Recall, Carey Young, UK 2007, 4'30''
Funny Bunny, Deutscher Sparkassen- und Giroverband, D 1990, 1'
The Anarchist Banker, Jan Peter Hammer, D 2010, 30' Anschließend kurzes Gespräch mit Jan Peter Hammer

25. Juni 2010 - Durchblicke: Gewinnen wollen!

Wenn wir heute an einem Wendepunkt stehen, dann sollte der Blick über die Analyse hinaus auf innovative Formen und Kulturen des Wirtschaftens gerichtet werden. Wie könnte ein nachhaltiges und verträgliches globales Wirtschaftssystem aussehen? Braucht es einen Paradigmenwechsel, um die Zukunft neu denken und gestalten zu können? Diese Veranstaltung versuchte angesichts verbreiteter Ratlosigkeit utopische Potentiale zu erschließen.

Moderator: Prof. Dr. Armin Nassehi (München) lehrt Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität mit dem Schwerpunkt Kultursoziologie, politische Soziologie sowie Wissens- und Wissenschaftssoziologie.
Tagesbeobachterin: Dietlind Klemm, Moderatorin und Autorin

Filmprogramm:

The Birth of the Robot, Len Lye, UK 1935, 7'
Die Natur ist entscheidend, BV-Aral AG, BRD 1954, 2'30''
The World of Buckminster Fuller: Dymaxion House + Dymaxion Car, Robert Snyder, USA 1971, 7'30''
Automania 2000, John Halas & Joy Batchelor, UK 1963, 10'
Catching, Hannaleena Hauru, FI/AR 2009, 12'
Banküberfall, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, D 2001, 1'
Kempinski, Neil Beloufa, FR 2007, 15'

Referenten:

Prof. Dr. Rahel Jaeggi (Berlin)
lehrt Sozial- und Rechtsphilosophie an der Humboldt-Universität mit den Schwerpunkten Politische Philosophie, Philosophische Ethik und Anthropologie. Ihre Forschungen gelten u.a. der Aktualität und Bedeutung von Begriffen wie "Kritik" und "Entfremdung" und deren Anwendung auf das Wirtschaftssystem.

Prof. Dr. Elena Esposito (Bologna)
lehrt Soziologie an der Universität Modena und Reggio Emilia. Die Arbeitsschwerpunkte der Systemtheoretikerin sind Medien- und Modetheorie, Gedächtnisforschung sowie ökonomische Theoriebildung in Bezug auf deren Wirkmächtigkeit in der und auf die Zukunft.

Prof. Stephan Klasen PhD (Göttingen)
lehrt Entwicklungsökonomie und Empirische Wirtschaftsforschung an der Georg-August-Universität. Er ist Koordinator des Courant Research Centers »Poverty, equity, and growth in developing and transition countries« und Leiter des Ibero-Amerika Instituts für Wirtschaftsforschung.

Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, Staatsminister a.D. (München)
lehrt Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität und ist Sprecher des von ihm und Karl Homann initiierten executive study „Philosophie-Politik-Wirtschaft“. Das Verhältnis von ökonomischer Rationalität und praktischer Vernunft gehört seit vielen Jahren zu seinen Forschungsschwerpunkten.

Wissenschaftliche Leitung der Veranstaltungsreihe: Julian Nida-Rümelin, Tatjana Schönwälder-Kuntze

Installationen und Filmprogramm

Eine sich über die drei Tagungen entwickelnde Installation der Künstlerin Karina Smigla-Bobinski begleitete die Veranstaltungsreihe. Sie nahm hierfür das Motiv des "Joss Paper" auf, das unter anderem in traditionellen chinesischen Ahnenverehrungszeremonien und zur Neujahrsfeier verbrannt wird. Ursprünglich handelt es sich bei Joss Paper um Papiergeld, heutzutage werden zudem gerne westliche Markenartikel in realer Größe aus Papp-Maché verwendet. Die Künstlerin holte Kopien westlicher Konsumgüter aus dem asiatischen Markt zurück in den Westen und stellt sie hier in einen neuen Kontext.

Smigla-Bobinski arbeitet sowohl mit opaken Farben als auch mit Licht, auf Leinwand oder mit Projektionskörpern. Geboren in Stettin, lebt und arbeitet sie heute in München. Sie nahm an den Biennalen in Venedig (2005) und Busan (2008) sowie an der VideoArtBiennial in Barcelona (2009) und der Web Biennial 2010 des Istanbul Contemporary Art Museum teil. Installation mit freundlicher Unterstützung der Firma CS Wing Fook, Hong Kong.

Der Filmkurator Florian Wüst präsentierte drei Kurzfilmprogramme zum jeweiligen Tagesthema. Die Programme aus historischen und zeitgenössischen Experimental-, Dokumentar-, Werbe- und Imagefilmen kontrastierten die Tagungsinhalte mal auf analytische, mal auf künstlerisch-ironische Weise. Geschichte und Gegenwart, Fiktion und Wirklichkeit blendeten ineinander – vom ökonomischen Wiederaufbau Europas nach 1945 und den industriellen Automatisierungsprozessen des 20. Jahrhunderts, über den Wertewandel bei Managern und die globalen Bedingungen von Arbeit bis zur Vision einer karbonfreien Zukunft.

Florian Wüst, in München geboren, lebt in Berlin. Als Künstler und freischaffender Filmkurator arbeitet er zu gesellschaftspolitischen Fragen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und des technischen Fortschritts in der Moderne. Von ihm zusammengestellte Filmreihen liefen unter anderem in der Tate Modern, London (2009), bei VideoZone–4, Tel Aviv (2008), im Österreichischen Filmmuseum, Wien (2007), und im Kino Arsenal, Berlin (2006).

Thomas Pogge im Interview

Für die Ausgabe #15 unseres Magazins befragte Christian Schlüter den Philosophen und Ethiker Thomas Pogge zum Thema "Gemeinwohl- orientiertes Wirtschaften".

Online-Dokumentation

In der Online-Dokumentation finden Sie Filmbeiträge und ein ausführliches Resümee der Veranstaltungsreihe.

Zur Online-Dokumentation (externer Link, öffnet neues Fenster)

Bildergalerie

Kontakt

Anne Maase
Kulturstiftung des Bundes

Franckeplatz 1

06110 Halle (Saale)

Tel.: +49 (0)345 2997 163

Fax.: +49 (0)345 2997 333

 

Veranstaltungsorganisation:

sauerbrey I raabe büro für kulturelle angelegenheiten, Berlin

www.sauerbrey-raabe.de (externer Link, öffnet neues Fenster)

 

Pressearbeit:

PR-Netzwerk, Annette Schäfer