Ihr aber glaubet – Über Religion und Wachstumsdenken
Internationale Konferenz der Kulturstiftung des Bundes
Die ökonomischen Krisen der letzten Jahre haben einmal mehr die irrationale Seite des modernen, kapitalistischen Wirtschaftssystems freigelegt. Diesem System zugrunde liegt ein Glaube an Mehr: Vorstellungen und Erwartungen einer unendlichen Steigerbarkeit von Kapital, Wissen und technischen Fertigkeiten. Jenes Denken ist schon vielfach zur Zielscheibe des anschwellenden Chors der Wachstumskritiker geworden. Kaum beleuchtet wurde dagegen bislang der Zusammenhang zwischen Wachstumsglaube und Religion. Und das, obwohl bereits seit einigen Jahren allerorten von einer „Wiederkehr“ der Religion die Rede ist, oder sogar von einem „postsäkularen Zeitalter“ (Jürgen Habermas). Welche Rolle also spielen die Religionen in den heutigen, konsum-, steigerungs- und wettbewerbsorientierten Gesellschaften, welche Rolle können sie spielen?
Hemmen oder befördern die Religionen das Denken und Handeln in Wachstumsparametern? Ist der moderne Wachstumsglauben auf religiösem Boden entstanden? Sind Religionen damit auch mentale Wegbereiter der weltweiten Wirtschafts- und Demokratiekrise? Oder können sie umgekehrt ein Mittel sein, sie zu bewältigen?
Interdisziplinärer und interkonfessioneller Austausch
Das Entstehen der modernen Sozial-, Staats- und Wirtschaftsordnungen in Europa seit der frühen Neuzeit, sowie deren globale Ausbreitung im Zuge des Kolonialismus, ist historisch eng mit den drei monotheistischen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam verbunden. Die internationale, interdisziplinäre und interkonfessionelle Konferenz konzentrierte und beschränkte sich darum auf diese drei Religionen. In zweifacher Weise fragte sie nach deren Aktualität: als nach wie vor wirksames kulturelles Erbe und als Experten für Glaubensfragen.
Inwiefern bedienen sich die Diskussionen und Diskurse um das Wachstumsdenken religiöser Muster? Muss sich mit dem Vermächtnis der Religionen auseinandersetzen, wer die heutige Zeit verstehen und verändern will? Wenn der Wachstumsglaube religiöse Wurzeln hat, sind wir ihm dann unentrinnbar ausgeliefert, solange wir uns diesem Glaubenskern nicht bewusst und kritisch stellen? Und können die Glaubenspraktiken und Kulturtechniken der Religionen möglicherweise dabei helfen, einen dritten Weg der Moderne zu finden, der die Dilemmata der Wachstumsgesellschaft überwindet?
Mit Wachstum und Wachstumsdenken war im Zusammenhang der Konferenz nicht nur ein ökonomisches Prinzip gemeint, sondern auch jenes Wachsen, das in Begriffen wie Fortschritt und Mission enthalten ist, in den Vorstellungen von Fortpflanzung und Natur, von Zeit und Wissen. In der postsäkularen Gesellschaft, so eine der Ausgangsbeobachtungen, werden Glaubensannahmen und -maximen gerade in solchen Funktionsbereichen am wirksamsten, die behaupten, ausschließlich „rationalen“ Kriterien zu folgen (und damit ihre konstitutiven Glaubensgehalte verleugnen).
Sind es also heute nicht mehr die Religionen, sondern Wissenschaft und Ökonomie, die als Hüter arkanen Wissens einer Glaubenskritik unterzogen werden müssen?
Derart vielschichtige und komplexe Zusammenhänge wie jene zwischen den monotheistischen Religionen und dem Wachstumsdenken lassen sich nicht direkt und umstandslos begreifen. Sie sind weder einseitig noch kausal, weder eindeutig zu lokalisieren noch festzuschreiben. Deshalb hat sich die Konferenz dem Verhältnis von Religionen und Wachstumsdenken von verschiedenen Seiten und in unterschiedlichen Perspektiven genähert.
Die Konferenz in Köln hat einen Dialog über die Fach- und Glaubensgrenzen hinweg angestoßen. So trafen in moderierten Vorträgen, Gesprächen, Workshops und einem Campus Wirtschaftswissenschaftler auf Theologen, Soziologen auf Künstler, Politiker auf Aktivisten und Literaturwissenschaftler auf Ökonomen. Eröffnet wurde die Konferenz am Freitag, 12. Juni 2015 mit dem Vortrag „Die göttliche Ökonomie“ von Tomáš Sedláček im Kölnischen Kunstverein.
Mit: Marcia Pally, Philip Roscoe, Josef Ackermann, Elisa Klapheck, Hamideh Mohagheghi, Philipp Stoellger, Reiner Klingholz, Milad Karimi, Barbara Muraca, Saskia Wendel, Thomas Macho, Martin Kämpchen, Hans Joas, Petra Bahr, Niko Paech, Anat Feinberg, Hans Christoph Binswanger, Armen Avanessian, Thomas Baltrock, Ulrich Lilie, Christian Lehnert, Christian Felber u.a.
Campus "Ihr aber glaubet"
Der Konferenz vorgeschaltet war ein knapp eintägiger Campus (externer Link, öffnet neues Fenster)für Nachwuchswissenschaftler, Studierende und Aktivisten. Ausgewählte Gruppen waren dazu eingeladen, sich über mehrere Monate aus ihrer spezifischen Perspektive mit den Themen der Konferenz auseinanderzusetzen. Auf dem Campus präsentierten und diskutierten sie ihre Arbeitsergebnisse. Der „Ihr aber glaubet“ - Campus fand in Kooperation mit dem Schauspiel Köln statt.
Die internationale Konferenz „Ihr aber glaubet – Über Religion und Wachstumsdenken" war eine Veranstaltung der Kulturstiftung des Bundes.
Konzept & Leitung: Dirk Pilz
Idee: Friederike Tappe-Hornbostel
Verantwortung Campus und Wissenschaftliche Mitarbeit: Alexander Klose
Produktion & Beratung: sauerbrey I raabe . büro für kulturelle angelegenheiten
#ihraberglaubet (externer Link, öffnet neues Fenster)
www.ihraberglaubet.de (externer Link, öffnet neues Fenster)
www.ihraberglaubet.de/blog (externer Link, öffnet neues Fenster)
Kontakt
Friederike Tappe-Hornbostel
Leitung Kommunikation
Kulturstiftung des Bundes
Franckeplatz 2
06110 Halle an der Saale
Tel.: +49 (0)345 2997 120
Fax: +49 (0)345 2997 300
E-Mail an Friederike Tappe-Hornbostel
Leitung Kommunikation