Der Schatten der Avantgarde
Rousseau und die vergessenen Meister
Die Kunst von Autodidakten wird immer noch ziemlich isoliert von künstlerischen Prozessen der Moderne betrachtet. Trotz ihrer unmittelbaren ästhetischen Überzeugungskraft, in der sie den Meisterwerken der besten Künstler der klassischen Moderne in nichts nachstehen, sind die meisten Bilder dieser Künstler zu Beginn des 20. Jahrhunderts sukzessive aus dem öffentlichen Ausstellungsbetrieb verschwunden. Im Zuge einer zunehmenden Verschiebung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung auf Spezialmuseen für naive Kunst und Art brut wurden die Künstler als Außenseiter taxiert und ihre Werke auf Klischees des „Primitiven“ und „Naiven“ reduziert. Die Ausstellung „Der Schatten der Avantgarde“ will dies ändern und stellt 13 internationale Positionen vor, die ihre künstlerische Überzeugungskraft gegenüber herausragenden Werken der Moderne behaupten können, unter ihnen André Bauchant, Erich Bödeker oder Adalbert Trillhaase.
Die Frage nach den künstlerischen Parallelen zur etablierten Moderne stand im Zentrum des Ausstellungsprojekts. Den monografischen Werkgruppen der großen nicht-akademischen Künstler wurden hierfür einzelne Schlüsselwerke der Moderne zur Seite gestellt. Kaum ein Autodidakt reüssierte, der nicht von Künstlern der Stunde entdeckt und zumeist auch protegiert wurde, so wie André Bauchant von Amédée Ozenfant und Le Corbusier und Adalbert Trillhaase von Otto Pankok und Otto Dix. Prototypisch für solche Beziehungen ist die Bewunderung, die Henri Rousseau im Umfeld der Pariser Avantgarde genoss. Dort dominierte ein antiakademischer Diskurs, der sich von Kunstphänomenen jenseits des etablierten Kunstsystems inspirieren ließ. Die Suche nach archetypischer Ursprünglichkeit weckte unter dem Begriff des Primitiven das Interesse an indigener Kunst, insbesondere aus Afrika und Ozeanien. Zugleich verstellte die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen aber den Blick für die Kunst und ihre Entstehungszusammenhänge. Dies verlangte eine Neubewertung des Zusammenspiels von Avantgarde und Autodidakten.
Des Weiteren wurde die Ausstellung ergänzt um Werke der Gegenwartskunst, die sich auf spezifische Weise zu den Strategien primitivistischer Aneignung verhalten oder die gesellschaftliche Rolle des Künstlers produktiv reflektieren. In den vergangenen Jahrzehnten sind in diesem Zusammenhang wegweisende Arbeiten entstanden, die eine zugleich künstlerische und zeitgenössische Reflexion der mit der Ausstellung verbundenen Fragen formulieren, wie z. B. Hanne Darbovens vielteilige Installation Hommage à Picasso, die den Primitivismus der Avantgarde umkehrt und aufzeigt, wie der „Jahrhundertkünstler“ Picasso zum Gemeingut wurde, oder die Filz-Banner von Mike Kelley, mit denen er sich auf Traditionen des nicht-künstlerischen Bildermachens bezieht.
Das Museum Folkwang ist in mehrfacher Hinsicht prädestiniert für diese Ausstellung, die eine alternative Lesart eines wichtigen Aspekts der Geschichte der Moderne vorschlug. Es ist von Karl Ernst Osthaus nicht nur als weltweit erstes Museum für zeitgenössische Kunst gegründet worden, seine Konzeption hatte zugleich auch einen dezidiert antikanonischen Zug. So berücksichtigte er außereuropäische Kunst ebenso wie Werbegrafik, Kunsthandwerk, naturkundliche Objekte, aber auch Künstler, die zu dieser Zeit noch nicht zum Kanon gehörten. Die Kunst von Autodidakten hat bisher nicht zu den Schwerpunkten des Museums gehört. So gesehen beleuchtete die Ausstellung auch einen blinden Fleck einer Sammlung und eines Hauses, das prädestiniert dafür scheint, ästhetische Phänomene jenseits des Etablierten und Kanonisierten in den Blick zu nehmen. Die Ausstellung reagierte auf die Sammlungsstruktur des Folkwang Museums, die historisch bis in die Zeit zurückreicht, in der die Türen für die Kunst von Autodidakten aufgestoßen wurden.
Künstlerische Leitung: Kasper König und Falk Wolf
Künstler: André Bauchant, Erich Bödeker, William Edmondson, Louis Michel Eilshemius, Morris Hirshfield, Séraphine Louis, Nikifor, Martín Ramírez, Henri Rousseau, Miroslav Tichy, Bill Traylor, Adalbert Trillhaase und Alfred Wallis.
Kontakt
Museum Folkwang
Museumsplatz 1
45128 Essen
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